
- 27. Mai 2021 von Chef-Sache
- CHEF-Magazin
Die ganze Welt sucht nach einem Rezept, um die Pandemie zu bewältigen. Montana-Direktorin Miriam Böger hat eins gefunden, zumindest für ihr Universum. Und es ist so einfach wie komplex: Genau hinsehen, regelmässig miteinander reden und richtig zuhören.
Miriam Böger sass ab Anfang Januar lange im Homeoffice, zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres. Schon als sie das Art Deco Hotel Montana am 1. April 2020 von Fritz Erni übernahm, waren 90 Prozent ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Kurzarbeit und die Ungewissheit gross. Auch beim zweiten Lockdown wusste sie lange nicht, wann die Tore des Hotels aufgehen würden – und wie es danach weitergeht. Dennoch wirkt sie ruhig und zuversichtlich.
KEINE GESCHÜTZTE WERKSTATT
Böger ist sich bewusst, dass sie sich in dieser Zeit in einer sichereren Lage befand als viele andere in der Branche; angestellt und als Direktorin eines Unternehmens, das in der eigenen Immobilie wirtschaften kann. «Wir müssen uns zumindest keine Sorgen um Mietzinszahlungen machen.» Dass das Montana der Hotel und Gastro Union gehöre, für die der Mensch vor Dividende und äusserster Marge stehe, helfe in der Situation ebenso. Eine geschützte Werkstatt sei das Hotel trotzdem nicht. «Auch bei uns müssen die Zahlen stimmen, Corona hin oder her.»
Und so war sie beim ersten Lockdown wesentlich angespannter – ob der Unberechenbarkeit dessen, wie lange die Einschränkungen dauern und wie sich die Lage auf das Reiseverhalten der internationalen Gäste in den Sommermonaten auswirken würde. Böger bereitete vor allem ein mögliches Fernbleiben der Amerikaner Sorge, die immerhin etwa einen Drittel der Montana-Gäste ausmachen. Doch statt in Schockstarre zu verfallen, setzte sie alle Hebel in Bewegung, um sich für den Betrieb nach dem Lockdown zu rüsten.
DIE SUCHE NACH INFORMATIONEN UND WEGEN
«Herauszufinden, welche Schutzkonzepte für Hotellerie, Gastronomie, Seminare und Spa gelten, sie alle auf das Montana umzumünzen, jeden einzelnen Punkt konkret und akribisch festzuhalten und umzusetzen, das war zu Beginn die grösste Herausforderung», erinnert sich die Direktorin.
Nachdem sie diese «riesige Büez» hinter sich hatte, ging es in einem nächsten Schritt darum, Wege zu finden, den Betrieb möglichst unbeschadet durch die Krise zu lenken. Bögers Hintergrund in Betriebswirtschaft und dass sie die Finanzen des Hotels lange unter sich hatte, habe ihr sicherlich dabei geholfen, diese Aufgabe anzugehen. «Auf dem Papier kenne ich jeden Lieferanten und jeden Handwerker und weiss genau, wo Kosten anfallen und wo es allenfalls noch Einsparmöglichkeiten gibt.»
KRISE ALS LEHRPLATZ
Um Kosten zu mindern und die Küche zu entlasten, habe man beispielsweise entschieden, die Gerichte des mittäglichen Dreigangmenüs vorübergehend nur noch einmal pro Woche auszuwechseln statt jeden Tag. «Dabei haben wir festgestellt, dass es gar niemanden stört – ausser vielleicht uns selbst», sagt Böger und lächelt dieses gewinnende, zuversichtliche Lächeln. So habe sich die Krise auch als Chance entpuppt.
Nicht zuletzt, weil die Situation sie gezwungen habe, genauer hinzusehen, wie man den Bedürfnissen der Schweizer Gäste noch besser entsprechen könne. Die sehen anders aus als die von Amerikanern. Und dadurch ist Neues entstanden. «Wir haben zum Beispiel zusammen mit dem Vitznauerhof in Vitznau und dem Wellness- und Seminarhotel auf dem Stoos ein Package für eine Woche Zentralschweiz geschnürt, Werbe- und Marketingkosten gespart und die Kooperation mit Mitbewerbern verstärkt.» Durch den regeren Austausch mit anderen Betrieben sei auch die Möglichkeit entstanden, Lehrlinge im zweiten Lockdown in andere Betriebe zu schicken – Hotels, Spitäler oder Altersheime in der Region.
RAUM FÜR BEFINDLICHKEITEN
Miriam Böger hat nicht nur die Branche stärker zusammenwachsen sehen, sondern auch ihr Team. Dank regelmässiger virtueller Meetings während des Lockdowns habe man sich persönlich noch besser kennengelernt. «Es ist eben ein Unterschied, ob man sich in der Hektik des Alltags kurz miteinander über Operatives austauscht oder in Sitzungen, in denen es nur darum geht, herauszufinden, wie es um die Befindlichkeiten der einzelnen Teammitglieder steht.» Dieser Austausch habe ungemein dabei geholfen, die Sorgen der einzelnen Mitarbeiter zu erkennen und auch darauf reagieren zu können. «Für einige ist die Krise und die damit verbundene Kurzarbeit mit existenziellen Nöten verbunden, für die wir im Montana – wo immer möglich – Lösungen finden möchten.»
Doch selbst im Montana mussten im letzten Jahr, trotz starker erster zwei Monate und eines überraschend guten Sommers, einige Lösungen her, die mit schwierigen Entscheidungen verbunden waren. Im Normalfall macht das Hotel knapp 15 Millionen Franken Umsatz. Um es auf Kurs zu einem «schwarzen EBIT» zu halten, war die Direktorin im letzten Quartal 2020, als weitere Einschränkungen und ein ausfallendes Weihnachtsgeschäft absehbar wurden, gezwungen, in Beherbergung und Administration Leute zu entlassen.
ALLES HAT EIN ENDE
Doch obschon eine Herausforderung die nächste ablöste und sie manchmal «richtig gefrustet und genervt war ob der Situation», die Hoffnung, dass es weitergeht, hat Böger in ihrem ersten Jahr als Direktorin nie aufgegeben. «Menschen haben das Bedürfnis zu reisen – und sobald es wieder möglich ist, kommen die Gäste auch wieder.» Das habe der letzte Sommer bewiesen. «Er hat uns vor Augen geführt, dass der Umsatzeinbruch nicht an uns, unserer Leistung oder unserem Produkt liegt, sondern von aussen bestimmt ist und nicht in unserer Macht steht.» Dieses Wissen habe ihr in dieser Zeit unglaublich geholfen, die Situation zu akzeptieren. Und die Überzeugung, dass «jede Krise mal ein Ende hat».
ÜBER MIRIAM BÖGER
Miriam Böger (41) ist in Waldshut aufgewachsen. Sie kam 1999 nach der Matura in die Schweiz. Nach Saisonstellen in den Walliser Bergen startete sie 2001 an der Schweizerischen Hotelfachschule Luzern (SHL). 2004 absolvierte sie ein Praktikum im Art Deco Hotel Montana und wurde danach zur Direktionsassistentin von Fritz Erni. 2008 wechselte sie als Controllerin in die Industrie, machte ihren Bachelor in Betriebsökonomie sowie den eidgenössischen Fachausweis als HR-Fachfrau. 2013 kehrte sie als Leiterin Finanzen und Human Resources ins Montana zurück, übernahm dort 2015 die Vizedirektion. Am 1. April 2020 ist sie die Nachfolge von Fritz Erni angetreten, der 24 Jahre lang als Direktor des Hotels amtete. Böger lebt mit ihrem Partner in Zürich.
Text: Michaela Ruoss
Foto: ZVG