
- 27. Mai 2021 von Chef-Sache
- CHEF-Magazin
Seit Beginn der Corona-Krise ist Kerstin Rapp-Schwan eines der Gesichter der deutschen Gastronomie. Sie ist Betreiberin von fünf Restaurants in Düsseldorf und Umgebung und hat den Kampf aufgenommen: für ihr Unternehmen, ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sowie für die Zukunft ihrer geliebten Branche. Dafür ist sie an vielen Fronten aktiv, trifft hochrangige Landes- und Bundespolitiker und spricht in Talkshows.
Eine Kämpferin war Kerstin Rapp-Schwan schon immer. Kaum heraus aus der Uni, übernahm die Hamburgerin vor zwanzig Jahren vier Restaurants im Rheinland – und lernte im Laufe der Zeit viel dazu: über die Mentalität und die Ansprüche ihrer Gäste und darüber, was es bedeutet, heutzutage als Gastronomin erfolgreich zu sein. «Viele Learnings waren durchaus schmerzhaft, aber letztendlich haben sie mich stark gemacht», sagt die 47-Jährige, die sich gemeinsam mit ihrem Mann Martin Rapp im Gastronomie-Netzwerk Leaders Club ebenso engagiert wie im Beirat des in der Corona-Krise neu gegründeten «Gastgeberkreises». Abwarten liegt ihr nicht. «Wenn ich sehe, dass etwas nicht gut läuft, gehe ich das Problem an.»
«IMMER WIEDER ZU BITTEN, IST UNERTRÄGLICH»
Umso schlimmer waren die Ohnmacht, die Überforderung und Hilflosigkeit, in die das Corona-Virus sie im März 2020 von einem Tag auf den anderen katapultierte. «Mein Mann und ich standen nach vielen Jahren harter Arbeit an der Spitze eines gesunden, schuldenfreien Unternehmens mit 150 Mitarbeitern», erinnert sie sich an den Moment, als sie ihre Betriebe schliessen musste. «Und plötzlich wird uns die Grundlage genommen, Geld zu verdienen, sodass wir auf staatliche Hilfe angewiesen waren – die auf sich warten liess. Immer wieder darum zu bitten, war für uns unerträglich. Gar nicht zu reden von der Ungewissheit, wie viel von dem erhaltenen Geld wir später wieder zurückzahlen müssen.» Neben dem Gefühl des Ausgeliefertseins ist da auch sehr viel Wut: «Wie kann es sein, dass die Politik von uns erwartet, dass wir innerhalb von wenigen Tagen ein tragfähiges Hygiene--Konzept auf die Beine stellen, und der Staat selbst es nicht geschafft hat, auch Monate nach Beginn der Pandemie die Alten- und Pflegeheime effizient zu schützen? Geschweige denn, Ideen zu entwickeln, mit denen sich der Lockdown vermeiden liesse?»
Nach dem ersten Schock ging Kerstin Rapp-Schwan schnell in die Offensive, beteiligte sich unter anderem an der Aktion «Kochen für Helden», bei der die Teams aus ihren und vielen anderen Restaurants für die Angehörigen der sogenannten «Funktionsberufe» in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen kochten. Sie stellte im Rahmen der Aktion «Leere Stühle» öffentlichkeitswirksam Sitzmöbel aus den Restaurants auf den Düsseldorfer Rathausplatz und startete ein liebevoll gestaltetes Delivery- und To-go-Angebot.
ZUM DANK EIN SHITSTORM
Dabei war der Lockdown nicht das Einzige, was ihr zusetzte. Der notwendige Schritt, den nicht kurzarbeitergeldberechtigten Aushilfen zu kündigen, brachte ihr einen Shitstorm ein, der zusätzlich an den Nerven zehrte. «Natürlich mussten wir die Mitarbeiterzahl reduzieren – von 150 vor Corona auf 80 im Frühjahr 2021, von denen der Grossteil monatelang in Kurzarbeit war.» Im Büro arbeitet nach wie vor ein kleines Team daran, die administrativen Abläufe und die Kommunikation mit den Mitarbeitenden durch regelmässige Aufmerksamkeiten einigermassen aufrechtzuerhalten und die Restaurants auf den Neustart vorzubereiten. «Ganz nebenbei» habe auch noch ein Wasserschaden die Wiedereröffnung eines der Standorte nach dem ersten Lockdown ausgebremst.
Trotzdem: Im Sommer gaben die «Schwäne», so der Übername von Kerstin Rapp-Schwan und ihrem Mann, richtig Gas – mit vorgeschriebenem Abstand, maximaler Hygiene und einem aufwendig für die neuen Umstände geschulten Team. Papp-Dummies mit humorvollen Bildern von imaginären Gästen sorgten dafür, dass die Restaurants trotz der notwendigen Distanz nicht leer wirkten.
MIT TIM MÄLZER IN EINEM TOPF
Was blieb, war die Sorge vor dem Winter, der drohenden «zweiten Welle». Im Herbst, noch vor dem zweiten Lockdown, liess Kerstin Rapp-Schwan als eine der ersten Gastronominnen überhaupt ihr Hygiene- und Sicherheitskonzept vom TÜV zertifizieren. Doch die medienwirksam vorgetragene Botschaft «Hier ist es sicher!» verhallte: Im November 2020 mussten auch die «Schwäne», wie alle Restaurants in Deutschland, wieder schliessen.
Das Unternehmerpaar nutzte die Zeit, das Konzept auf den Prüfstand zu stellen, optimierte Speisekarten, Kalkulation, Mitarbeitermanagement und andere Prozesse. Anfang Dezember zog sogar ein Corona-Testcenter in eines ihrer Restaurants. Die Köche kreierten Boxen mit «Schwan»-Produkten – von der Suppe über Marmelade bis hin zum Likör für den Genuss zu Hause. Inzwischen erleichtert ein eigener «Schwan«-Webshop das Geschäft. Überhaupt hat Corona die Digitalisierung der Betriebe, deren Konzept ursprünglich so gar nicht technologieaffin auf die Themen Heimat, Region und Gemütlichkeit setzte, deutlich vorangetrieben.
Obwohl sie seit mehr als einem Jahr eine Sieben-Tage-Arbeitswoche lebt, hat Kerstin Rapp-Schwan sich im Herbst 2020 noch ein weiteres Standbein erschlossen: Sie wurde Gesellschafterin der «tellerrand consulting», der Beratungsfirma von TV-Koch Tim Mälzer und seines Geschäftspartners Patrick Rüther. Hier gibt sie ihre Expertise und ihre Erfahrungen an Kollegen und Kolleginnen in ganz Deutschland und darüber hinaus weiter.
Doch wie jetzt wieder öffnen, nachdem der zweite, fast ein halbes Jahr andauernde, Lockdown die Zahl ihrer Mitarbeiter halbiert hat? «Davor habe ich grossen Respekt», sagt Rapp-Schwan. Sie erwartet, dass nach dem ersehnten Restart der Gastronomie ein Gästeansturm einsetzt, «ähnlich wie beim Ketchup, das nach langem Klopfen in einem Schwall aus der Flasche kommt. Deshalb erwähne ich bei Gelegenheit auch bei den Politikern, dass wir mindestens zwei Wochen Vorlauf brauchen, um wieder loszulegen. Denn auch unsere Lieferanten können nicht alle Kunden an einem Tag beliefern. Ebenso müssen unsere Teams geschult und neu zusammengesetzt werden.»
KEINE ANGST VOR HOHEN TIEREN – ABER VOR DER ZUKUNFT
Der Austausch mit der Politik gehört mittlerweile zu ihrem Alltag: Sie telefoniert regelmässig mit Bundestagsabgeordneten, und der Landes-Wirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen informierte sich in einem ihrer Restaurants über die praktischen Auswirkungen der Hygiene-Bestimmungen. Kerstin Rapp-Schwan war sogar im Bundestag eingeladen, um dort die Nöte und Sorgen der Branche vorzutragen, und zudem gern gesehener Gast in den Talkshows von TV-Grössen wie Markus Lanz und Bettina Böttinger. Erfolge (wie z. B. eine grosszügiger als zunächst geplant bemessene Abstandsregel für Restauranttische) ermutigen sie, weiterhin das Gespräch mit den Entscheidungsträgern zu suchen. Angst vor «hohen Tieren» kennt sie dabei nicht, Angst um die eigene Existenz und die Zukunft ihrer neunjährigen Tochter dagegen schon. Die lässt sie weiterkämpfen: «Ich habe schon so viele Krisen durchgestanden, will unbedingt Gastronomin bleiben – und im Herbst das 20. Jubiläum des Schwans feiern!»
Text: Barbara Schindler
Foto: ZVG